Andreas Fuchs hat unlängst für mediale und polizeiliche Aufmerksamkeit gesorgt. Auf einer Trainingsfahrt rauschte der österreichische Triathlet mit satten 63 statt der vorgeschriebenen 50 km/h durch die Ortschaft Illmitz/Burgenland. Ergebnis der Spritztour: 193 Euro Geldstrafe. Was aber viele nicht wissen, in deutschen Ortschaften wären 63 km/h grundsätzlich nicht gesetzwidrig. Wer hätte das gewusst?
5 Radfahrer, 10 Meinungen – so lässt sich die Situation beschreiben, wenn unter Radfahrern das vermeintlich richtige Verhalten im Straßenverkehr diskutiert wird. Viele Legenden halten sich bis heute hartnäckig. So wird immer noch geglaubt, ein Rennrad sei ein Rad unter 12 Kilogramm oder man dürfe bei sportlicher Fahrweise auf die Straße wechseln. Der aktuelle SPIEGEL vom 12.09.2011 hat in seinem reißerischen Titel „Der Straßenkampf“ die Verrohung der Sitten angeprangert und glaubt, Fahrradfahrer seien kämpfende, pöbelnde und drängelnde Verkehrsteilnehmer. Um etwas Licht ins juristische Dunkel zu bringen, haben wir uns durch das Dickicht der StVO, StVO-VwV, StVZO, und StVG gekämpft – mit teils überraschenden Erkenntnissen.
Was ist ein Rennrad?
Jeder ist vermutlich in der Lage ein Rennrad von einem normalen Rad zu unterscheiden. Häufig werden Kriterien wie der Lenker, die Klickpedale oder das Gewicht herangezogen. Das Verblüffende: Das Gesetz unterscheidet grundsätzlich nicht zwischen verschiedenen Fahrradtypen. Sowohl ein Mountainbike als auch ein Rennrad sind dem Gesetz nach Fahrräder und diese definieren sich nach der Wiener Straßenkonvention vom 8. November 1968. Demnach ist ein Fahrrad „jedes Fahrzeug mit wenigstens zwei Rädern, das ausschließlich durch Muskelkraft auf ihm befindlicher Personen, insbesondere mithilfe von Pedalen oder Handkurbeln, angetrieben wird.“ Hierunter fällt auch das Rennrad. Das Gesetz erwähnt den Begriff des Rennrads lediglich im Zusammenhang mit lichttechnischen Einrichtungen in der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung (StVZO). Juristen schließen ganz überwiegend im Umkehrschluss daraus: Dort wo das Gesetz den Begriff des Rennrads nicht explizit erwähnt, lässt es sich unter den Begriff des Fahrrads subsumieren. Das Gesetz bleibt uns somit die Definition eines Rennrads schuldig.
Wie muss ein Rennrad beschaffen sein?
Die Vorschriften für Fahrräder gelten prinzipiell auch für Rennräder. Die Verkehrstauglichkeit von Fahrrädern richtet sich nach der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung (StVZO). Hiernach wäre ein Rennrad straßenverkehrstauglich, wenn unter anderem genügend Reflektoren, eine helltönende Glocke, zwei voneinander unabhängige Bremsen und eine geeignete Lichtanlage angebaut sind. Jedoch lässt die StVZO eine Ausnahme bei der Lichtanlage zu: Bei Fahrrädern, hier namentlich Rennrädern, mit einem Gewicht von nicht mehr als 11 Kilogramm greift eine Sonderregelung. Anstelle der sonst vorgeschriebenen Dynamos dürfen auch batterie- und akkubetriebene Leuchten verwendet werden. Diese umgangssprachlich als „Stecklichter“ bekannten Leuchten müssen zwar nicht am Rad montiert sein, sind aber ständig mitzuführen. Dass sich Theorie und Praxis gelegentlich voneinander entfernen, zeigt die allgemeine Lebenserfahrung. Welches Rennrad ist schon mit Reflektoren oder einer Klingel ausgerüstet? Was gängige Praxis ist, muss aber nicht rechtens sein – wie in diesem Fall.
Darf ich auf der Straße fahren?
Das Gesetz ist hier eindeutig: Radfahrer haben generell den Radweg zu benutzen, wenn die jeweilige Fahrtrichtung mit den Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet ist. Von dieser Pflicht kann abgewichen werden, wenn es unzumutbar erscheint den Radweg zu benutzen. Bei der Bestimmung der Unzumutbarkeit gelten für Rennradfahrer grundsätzlich die gleichen Maßstäbe wie für alle anderen Radfahrer. Eine Ausnahme bildet der geschlossenen Verband ab 16 Radfahrern. Bei diesem darf auf der Fahrbahn auch dann nebeneinander gefahren werden, wenn ein benutzungspflichtiger Radweg vorhanden ist. Auch diese Regelung gilt für alle Fahrradtypen und beschränkt sich nicht ausschließlich auf Rennräder.
Soviel zum Wortlaut des Gesetzes. Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich im letzten Jahr mit der Frage nach der Benutzungspflicht von Radwegen zu befassen. Im Urteil vom 18. November 2010 heißt es in dessen Leitsatz: „Eine Radwegbenutzungspflicht darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt.“ Hintergrund des Urteils war ein Kläger, der sich gegen die Benutzungspflicht eines Radweges gewandt hat, mit der Begründung, er sei auf den betroffenen Straßenabschnitten sicherer unterwegs. Das Gericht folgte seiner Argumentation und konnte im vorliegenden Fall keine sogenannte qualifizierte Gefahrenlage (Eine q. G. liegt vor, wenn die Schädigung des Schutzgutes bereits eingesetzt hat bzw. unmittelbar bevorsteht und ein bedeutsames Rechtsgut bedroht ist) feststellen, die eine Anordnung zur Benutzung des Radwegs zulassen würde.
Das Gericht hat damit höchstrichterlich die Rechte von Fahrradfahrern gestärkt und erkennt diese nunmehr als gleichberechtigten Verkehrsteilnehmer an. Das ist vor allem von praktischer Relevanz: Dem Wortlaut des Gesetzes nach ist der Radweg grundsätzlich zu benutzen, es sei denn in Ausnahmefällen darf auf die Straße ausgewichen werden. Dem Grundsatzurteil zufolge dürfen Radfahrer jetzt immer die Straße benutzen, sofern keine qualifizierte Gefahrenlage es zulässig erscheinen lässt, eine Radbenutzungspflicht anzuordnen. Ob Kommunen und Städte dem Urteil Rechnung tragen und Deutschlands Schilderlandschaft dementsprechend entrümpeln, bleibt nur zu hoffen. Rechtlich dazu verpflichtet sind sie jedenfalls.
Muss ich einen Radhelm tragen?
In Deutschland besteht im Straßenverkehr sowohl für Radfahrer als auch für Rennradfahrer keine Helmpflicht. Aber: Bei schadensersatzrechtlichen Fragen spielt der Radhelm eine tragende Rolle. Radfahrer, die bei einem Unfall eine Kopfverletzung erleiden, müssen sich nach der Ansicht des Oberlandesgerichts München ein Mitverschulden anrechnen lassen, sofern sie keinen Helm getragen haben. Das gilt zumindest dann, wenn sie mit einem Rennrad unterwegs waren. Im Urteil vom 3. März 2011 haben die zuständigen Richter ausgeführt, dass bei einem Fahrradfahrer, der ein Rennrad mit Klickpedalen benutze, bereits ein sogenannter Anscheinsbeweis für eine „sportliche Fahrweise“ gegeben sei, die eine Obliegenheit des Schutzhelms begründe. Komplizierter Satz, kurzer Sinn: Wer ein Rennrad mit Klickpedalen fahre, dem kann eine sportliche Fahrweise attestiert werden. Wer sportlich fahre, dem könne ein Mitverschulden einer Kopfverletzung bei Nichttragen eines Fahrradhelms zugerechnet werden. Das Urteil ist schon deswegen unbefriedigend, da es die Definition eines Rennrads schuldig bleibt.
Außerdem erscheint es unzulänglich bei einem Rennrad mit Klickpedalen generell eine sportliche Fahrweise anzunehmen. Nicht jedem Rennradfahrer geht es darum eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Um derartige Probleme zu vermeiden, kann jedem Rennradfahrer mit Klickpedalen, der Sicherheit halber sowieso, aber vor allem aus juristischem Kalkül dazu geraten werden einen Radhelm zu tragen.
Geschwindigkeitsbeschränkung für Radler?
Kaum zu glauben, aber wahr: In Deutschland wäre es nicht gesetzwidrig in Ortschaften das Tempolimit von 50 km/h zu überschreiten. Höchstgeschwindigkeiten innerhalb geschlossener Ortschaften (50 km/h) und außerhalb geschlossener Ortschaften (100 km/ h) gelten nicht für Radfahrer, da das Gesetz im Zusammenhang mit der relevanten Norm von Kraftfahrzeugen spricht, worunter das Fahrrad nicht fällt. Einen Freifahrtschein haben Radfahrer trotzdem nicht, denn allgemein gilt die Generalklausel, nach der es heißt: „Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie seinen persönlichen Fähigkeiten anzupassen.“ Weiterhin hat jeder Verkehrsteilnehmer den allgemeinen Grundsatz zur gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr zu beachten. Regelmäßig gelangen Gerichte deshalb zum Ergebnis, dass Radfahrer so schnell zu fahren haben, wie es allgemein von ihnen erwartet wird. Es könne vom einem Radfahrer nicht erwartet werden, dass dieser Geschwindigkeiten erreiche, die sonst nur von führerscheinpflichtigen Kraftfahrzeugen erreicht werden, so der Urteilstenor.
Für Fahrzeuge, d.h. auch Fahrräder, gelten hingegen jegliche Streckenverbotszeichen. Hierunter fallen alle Geschwindigkeitsbeschränkungen, die per Schild (Zeichen 274) angeordnet werden. Ein Radfahrer darf somit in einer Tempo-30-Zone nicht schneller als 30 km/h fahren und hat in einem verkehrsberuhigten Bereich Schrittgeschwindigkeit einzuhalten.
Radsport im und außerhalb des Straßenverkehrs
Unterhält man sich mit Radfahrern, begegnet man zuweilen dem Vorurteil, dass für Rennradfahrer, die sich zu Sportzwecken im Straßenverkehr aufhalten, besondere Bestimmungen gelten. Ob und inwieweit ein Radfahrer Sport treibt, d.h. sich körperlich ertüchtigt, ist zumeist eine Frage der inneren Motivation, die sich von außen nicht abschließend bestimmen lässt. Selbst wer ein Rennrad benutzt, tut dies nicht zwangsläufig aus sportlichen Motiven, schon deswegen nicht, da das Gesetz die Einordnung des Rennrads in den straßenrechtlichen Verkehr nichts entgegenstellt. Denklogisch bedeutet dies, dass sich Radfahrer auch zu Sportzwecken im Straßenverkehr aufhalten dürfen, natürlich unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen der StVO.
Anders verhält es sich bei Radsportveranstaltungen, die ihrerseits nicht vom Gemeingebrauch umfasst werden. Deswegen braucht es für Radrennen eine Erlaubnis, d.h. eine behördliche Genehmigung. Ausschließlich für die Zeit der Teilnahme an zugelassenen Straßenrennen sind Rennräder komplett von den Vorschriften der StVO befreit. Seit 2004 gilt eine durch den Radsport-Weltverband (UCI) beschlossene Helmpflicht für alle offiziellen Radrennen.
Radtourenveranstaltungen (RTF), auch Jedermann-Rennen genannt, hingegen sind keine Radsportveranstaltungen im Sinne von Radrennen. Kommt es bei Radrennen darauf an, eine bestimmte Strecke unter höchstmöglicher Geschwindigkeit zurückzulegen, steht bei
Radtouren- oder auch Radtouristikveranstaltungen die Streckenbewältigung im Vordergrund. Daher werden bei solchen Veranstaltungen auch keine Ranglisten veröffentlicht. Während solcher Radveranstaltungen ist die StVO einschlägig.
Fazit
Was bleibt, ist die müde Erkenntnis: Rechtliche Theorie und Wirklichkeit haben sich mitunter eklatant auseinander bewegt, wie die Frage nach dem verkehrstauglichen Rennrad beweist. Aber auch eine uneinheitliche Rechtsprechung, die teilweise im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes steht, tragen nicht zur Rechtssicherheit von Radfahrern, insbesondere von Rennradfahrern bei.
Apropos Rennrad: Besonders unbefriedigend ist, dass im Gegensatz zu unserem Nachbarland Österreich immer noch keine einheitliche Definition des Rennrads ex lege besteht. Dem Gesetz nach ist das Rennrad ein Fahrrad wie jedes andere auch. Dass aber Gerichte bei der Schadenzurechnung mit eben dieser Regel gebrochen haben, trägt zur allgemeinen Verunsicherung unter Rennradfahrern zusätzlich bei. Ein Lichtblick war das Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichtes, das Radfahrer nunmehr als gleichberechtigten Verkehrsteilnehmer anerkennt und Klarheit bei der Benutzungspflicht von Radwegen geschaffen hat.